Schnecke und Hahn
von Christian Weber
Günter Grass – da denke ich nicht nur an seine Romane wie die Blechtrommel. Ich denke nicht nur an seine anfänglichen Einwände zur Deutschen Einheit, die er als voreilig empfand – oder eben an seinen passionierten Wahlkampf für Willy Brandt. Ich denke dabei auch an seinen Einsatz für die Versöhnung zwischen Polen und Deutschland, an seine Reisen nach Indien, Asien und Nicaragua und den damit verbundenen Kampf gegen Hunger und Elend. Ich denke an seine Appelle gegen Umweltzerstörung und gegen politische Resignation.
Wir haben der Lebensklugheit und -weisheit von Günter Grass viel zu verdanken. Die Erkenntnis beispielsweise, dass der Fortschritt nur langsam voran geht. Deswegen hat er diesen quasi zur Schnecke gemacht, die Schnecke zu seinem Markenzeichen erkoren. Und der SPD übrigens hat er als „Bürger für Brandt“ einen Hahn vermacht. Beide Tiere finden Sie unten in unserer Ausstellung wieder.
Günter Grass hat in der Nachkriegszeit die parlamentarische Demokratie als hohes Gut erkannt und auch benannt. Ihr ist er treu geblieben und hat sich sowohl gegen rechts- wie auch linksextreme Gesinnungen ausgesprochen. Für seine Überzeugungen hat er kein Blatt vor den Mund genommen. Dafür musste er sich häufig öffentlicher Häme und Kritik aussetzen. Warum also das ausdauernde politische Engagement? Warum das Augen-Öffnen um jeden Preis? Warum die Ablehnung revolutionärer Ideologien?
Nun. Grass hat, wie so viele seiner Zeitgenossen etwa Hans Magnus Enzensberger, Heinrich Böll und Siegfried Lenz, in jungen Jahren das Grauen erlebt. Zuerst im Krieg. Und etwas später, als er erkannte, dass er mit seinem kindlichen Glauben an die NS Propaganda einem fatalen Irrtum aufgesessen war. Er hat gelernt, wie kurz der Weg von der radikalen Ideologie zur Diktatur ist. Ein weiteres Schlüsselerlebnis: Grass wird 1953 Zeuge des Ostberliner Arbeiteraufstands. Er spürt den verzweifelten Kampf der Arbeiter hautnah mit – auf sich allein gestellt, ohne Unterstützung des Bürgertums und der federführenden Intellektuellen im Lande.
Ich freue mich besonders darüber, dass der „politischen Grass“ hier in der Bürgerschaft einen angemessenen Raum bekommt. Und das ist, wenn ich das einmal erwähnen darf, parteiübergreifend und einmütig im Vorstand der Bürgerschaft so beschlossen worden. Ich finde, der politische Grass ist gut aufgehoben in dem Parlament der Freien Hansestadt Bremen, ein Bremen übrigens, das durchaus ein ambivalentes Verhältnis zu Grass pflegte. Ich meine zudem, dass Grass mit seinem Verständnis von Bürgerpflicht gut nach Bremen passt. Immerhin blickt diese Stadt auf eine lange Tradition des bürgerschaftlichen Gemeinwohls. Und ich, der dem Vorstand der Günter Grass-Stiftung anhören darf, freue mich natürlich besonders, weil ich selbst von Grass beeindruckt bin – von seinen Werken, von seiner Offenheit und Kreativität, von seiner ansteckenden, positiven Wortgewalt und nicht zuletzt von seiner Persönlichkeit. |